Sonntag, 12. Februar 2012

Ausbrechen. Weglaufen. Ausreißen. Entfliehen. Flüchten. Sich davonmachen. Reißaus nehmen. Abhauen. Durchbrennen.

Früher schon habe ich oft darüber nachgedacht, einfach abzuhauen. Meine Koffer zu packen, mich in einen Zug zu setzen, zu schauen wohin es mich verschlägt, um ein neues Leben anfangen zu können. Momentan machen sich die Fluchtgedanken circa alle drei Monate bemerkbar. Und sie richten sich gegen meinen Partner. Gegen den Menschen, der immer hinter mir steht, der mir nie in den Rücken fällt, gegen den loyalsten Menschen, den ich kenne.

Ich habe zu viel Zeit nachzudenken, mir Gedanken zu machen. Sie machen sich in meinem Kopf breit, wollen nicht mehr gehen und übernehmen letztlich die Kontrolle. Meine Unzufriedenheit mit mir selbst äußert sich darin, dass ich mir Dinge suche, die mich in der Beziehung unzufrieden machen. Und in diese zweit- oder dritt- oder zehntrangige Unzufriedenheit steiger ich mich rein als würde mein Leben davon abhängen. Ich schleuder sie meinem Partner völlig unerwartet und ohne Vorzeichen an den Kopf, werde eiskalt, gefühllos ihm gegenüber, und gebe ihm die Schuld dafür, dass mein Leben so ist wie es ist.

Ich werde radikal, will ausziehen, zerstöre sein Vertrauen in mich, bis er weinend vor mir steht und mich fragt, wo die liebevolle, warmherzige Marie hin ist, in die er sich verliebt hat. Und nach stundenlangen Gesprächen und vielen Tränen wird mir klar, dass es wieder einer meiner Ausbrüche war. Dass ich weglaufen wollte, wie immer. Vor allem und jedem. Vor allen Dingen aber vor mir selbst. Nicht vor ihm. Egal, wo ich hingehe, ich werde mich selbst dabei nie hinter mir lassen können. Ich werde mich immer dabei haben, dieser Gedanke macht mir Angst.

Die Tage danach spüre ich einerseits das schlechte Gewissen, meinem Freund wehgetan zu haben. Andererseits wirken diese Ausbrüche bei mir so reinigend, dass es selbst ihm fast besser geht als vorher. Das ist das Dilemma.

Und tatsächlich, in dieser Hinsicht bin ich die typische Borderlinerin.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Ich hoffe, niemand von euch hat mir eine Email geschrieben. Ich kann mich leider nicht einloggen und auch eine neue Emailadresse anzulegen, funktioniert nicht (bzw kann ich mich dann auch dort nicht einloggen!). Falls mir jemand geschrieben hat, soll er doch einfach bitte hier Bescheid sagen...

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Wie oft ich mir früher gewünscht habe, dass mir etwas ganz Schlimmes passiert. Irgendetwas richtig Traumatisches. Dass meine Familie bei einem Unfall umkommt, dass ich entführt werde, dass ich von meinem Freund verprügelt werde. Damit ich zumindest einen plausiblen Grund habe, warum es mir schlecht geht. Damit es mir schlecht gehen DARF. Nein, ich erlaubte mir das schlecht gehen nie. Weil ich alles hatte. Genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, tolle Freunde und eine intakte Familie, eine vernünftige Schulbildung, und so weiter. Uuuh, die Kinder aus meiner Klasse mochten mich nicht, uuh, eigentlich war es viel zu früh für mein erstes Mal, uuuh meine Eltern mussten sich eine Zeit lang mehr auf meine Schwester konzentrieren. Das sollten Gründe dafür sein, dass es mir schlecht gehen darf? Dass ich ständig zusammenbreche, mich schneide, zu viel trinke, keine Beziehung führen kann, kurz mein Leben nicht auf die Reihe bekomme?

Radikale Akzeptanz des Gegebenen. Das hat man versucht, mir in der Klinik näher zu bringen. Dass ich annehmen muss, dass es mir schlecht geht, auch wenn ich dafür meiner Meinung nach keinen Grund habe. Denn wenn man nicht akzeptiert, dass das nun mal so ist, dann kommt man kein Stück weiter. Man darf nicht gegen die Erkrankung ankämpfen. Man muss versuchen, mit ihr zu leben. Bla blabla.

Heute, wo es mir ein ganzes Stück besser geht, wünsche ich mir manchmal ähnliche Sachen. Dass ich eine Nahtoderfahrung habe, dass ich für einen kurzen Moment denke, dass mein Leben vorbei ist, damit ich danach mein Leben mehr zu schätzen weiß. Damit ich ENDLICH anfange zu leben und meine Zeit nicht mehr verschwende.  Wenn ich von Menschen höre, die so eine Art Erfahrung gemacht haben und anschließend ihr Leben völlig neu angingen, bin ich fast neidisch. Ich brauche auch endlich diesen.. Aha-Moment. 

Montag, 5. Dezember 2011

„Warum sind Sie hier?“, fragte mich Frau Doktor M. beim Aufnahmegespräch meines ersten Klinikaufenthaltes. „Ich komme mit meinem Leben nicht zurecht. Ich sehe keinen Sinn mehr in ihm.“ – „Suizidale Gedanken?“ –„Wenn dazu gehört, dass ich mir Autos in den passenden Momenten wünsche …“ – „Warum hat ihr Leben Ihrer Meinung nach keinen Sinn?“ – „Weil ich keinen finde.“ – „Warum sind Sie zu uns gekommen?“ – „Weil ich Hilfe brauche. Ohne Hilfe gehe ich ein. Ich will so nicht weiterleben.“ Gedanken von zu hohen Tablettendosen kamen mir in den Sinn. Wie ich tot aufgefunden werde. Meine Beerdigung. Nein. Das stand fest. So wollte ich nicht weiterleben.

„Wie sieht ihr Tag momentan aus?“ – „Nun… ich schlafe. Ich verschlafe die Uni. Dann setze ich mich an den Laptop und da bleibe ich sitzen, tagelang. Wenn ich mich dazu aufraffen kann, aus dem Bett zu steigen, gehe ich einkaufen. Ich habe all mein Erspartes auf den Kopf gehauen. Ich trinke zu viel. Ich habe Drogen genommen. Ich habe mich selbst verletzt.“ – „Warum das alles?“ – „Um die Leere zu füllen. Ich habe nichts, das mich erfüllt.“ 

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Meine Mitpatienten in der Geschlossenen erschrecken mich. Ihre leeren, traurigen Augen erinnern mich an die, die ich jeden Morgen selbst im Spiegel erblicke. Augen, die des Lebens müde sind. Abgekämpft und erschöpft. 

Ich habe schon lange vor meinem Zusammenbruch gemerkt, dass meine Augen aufgehört hatten zu leuchten. Ich wundere mich, warum ich immer noch Komplimente für meinen starken Ausdruck bekomme, mir sogar Neid entgegen gebracht wird, wobei ich meinen Glanz doch längst verloren habe und ich innerlich schon so gut wie tot bin. Von meiner einstigen Ausstrahlung ist wirklich nicht viel übrig geblieben, doch ich bin ein guter Schauspieler. Ich bin so ein guter Schauspieler, dass ich sogar Ausstrahlung schauspielern kann. Das soll mir bitte mal jemand nachmachen.

Auch ihre Sorgenfalten, ihre nach unten gezogenen Mundwinkel machen mir angst. So will ich nicht aussehen. In zehn, zwanzig Jahren will ich Lachfältchen um Augen und Mund haben. Ich will wieder den Glanz in meinem Gesicht sehen, den Glanz aus glücklichen Zeiten. Oder habe ich den Glanz schon mein Leben lang allen nur vorgemacht? Denn an glückliche Zeiten erinnere ich mich gerade nicht.